[ Gleichungen in vorgriechischer Zeit ]
Bereits in vorgriechischer Zeit wurde man bei der Behandlung von Problemen mit Hilfe mathematischer Methoden auf das Lösen von Gleichungen geführt. Man war bei den Ägyptern mit dem Lösen von linearen Gleichungen in einer Unbekannten durchaus vertraut. Rechnungen dieser Art werden als "Hau-Rechnungen" bezeichnet. Das ägyptische Wort Hau ('h') bedeutet soviel wie Menge, Haufen. Im Papyrus Rhind finden wir eine Reihe von Hau-Rechnungen. So lautet etwa die Aufgabe 26 dieser Aufgabensammlung des Schreibers Ahmes:
"Eine Menge und ihr Viertel sind zusammen 15."
Die Lösung wird rezeptartig angegeben:
"Rechne mit 4, davon mußt du ein Viertel nehmen, nämlich 1; zusammen 5."
Nun wird 15 durch 5 dividiert, das Ergebnis mit 4 multipliziert. Somit ist die gesuchte Menge 12. Ihr Viertel ist 3 und somit 15 = 12 + 3. Manche Mathematikhistoriker interpretieren die Lösung dieser Aufgabe als Beispiel für die Methode des einfachen falschen Ansatzes (auch Methode der Versuchszahl genannt). Man kann diese Methode allgemein so beschreiben: Sei p ein Polynom und a eine gegebene Zahl. Sucht man einen Wert x mit p(x) = a, so wählt man einen Wert y, berechnet p(y) = b und schließt aus dem Unterschied oder dem Verhältnis von a zu b auf den Wert x.
Als weiteres Beispiel geben wir die Aufgabe 31 aus dem Papyrus Rhind an:
"Eine Menge und und und davon gibt zusammen 33."
Der Leser möge zur Übung versuchen, diese Aufgabe mit der Methode des falschen Ansatzes zu lösen.
Ein weiteres Beispiel zur Hau-Rechnung ist die folgende Aufgabe aus dem Berliner Papyrus 6619:
"Ein Quadrat und ein zweites, dessen Seite von der Seite des ersten Quadrates ist, haben zusammen den Flächeninhalt 100. Laß mich wissen!"
Die Lösung wird auf folgende Art beschrieben:
"Nimm ein Quadrat mit Seite 1; nimm von 1, das ist +, als Seite der anderen Fläche. Multipliziere mit sich selbst, das ist + . Wenn also die Seite der einen Fläche als 1, die der anderen als + angenommen ist, addiere man die beiden Flächen. Das gibt 1 + + . Ziehe daraus die Wurzel, es ist 1 +. Ziehe die Wurzel aus der gegebenen Zahl 100, das ist 10. Wie oft ist 1 + in 10 enthalten? Es ist 8 mal. Also sind 8 * 1 = 8 und die Seiten der gesuchten Quadrate".
Auch in babylonischen Texten finden wir eine Reihe von Aufgaben, die die Lösung von speziellen linearen Gleichungen in einer Unbekannten behandeln. Ein Beispiel aus einem altbabylonischen Text:
"Ich fand einen Stein, ich habe ihn nicht gewogen. Ich habe und addiert; er wog 1 Mine."
Diese Aufgabe hat man in moderner Schreibweise so zu interpretieren:
Auch Beispiele quadratischer Gleichungen wurden von den Babyloniern rezeptartig gelöst. Ihre Lösungstechnik ist die übliche, nämlich die Ergänzung zu einem vollständigen Quadrat. Ein Beispiel entnehmen wir dem altbabylonischen Text BM 13901:
"Die Fläche und die Seite eines Quadrats habe ich addiert und 0;45 ist es."
Die Lösung wird durch folgendes Rezept angegeben (das natürlich im babylonischen Sexagesimalsystem geschrieben ist):
"1, den Koeffizienten nimmst du. Die Hälfte von 1 brichst du ab, 0;30 und 0;30 multiplizierst du. 0;15 zu 0;45 fügst du hinzu. Und 1 hat 1 als Quadratwurzel. 0;30, das du mit sich selbst multiplizierst hast, von 1 subtrahierst du, und 0;30 ist das Quadrat."
Hier wird also die Lösung der Gleichung beschrieben. Zunächst wird = 0;30 gebildet und quadriert: . Dann bildet man + 0;45 = 1, zieht die Wurzel und zieht davon ab. Die gesuchte Größe ist also
Die Babylonier verwenden diese Lösungstechnik immer wieder, geben aber niemals eine Begründung oder gar einen Beweis für ihre Richtigkeit. Solche Überlegungen finden wir erst in der Mathematik des antiken Griechenlands.
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