Die Antike

[ Die Athenische Periode ]

Zwischen 450 und 400 v. Chr. war in Athen die Blütezeit der Sophisten. Im Streit der Weltanschauungen (Aristokratie - Demokratie, Idealismus - Materialismus) bezogen sie keine feste Position. Sie waren sehr kluge und schlaue Leute und stellten ihre Kenntnisse um Geld den Mitbürgern zur Verfügung, ob es sich nun um Prozesse, Geschäfte, Weltanschauung oder sonst etwas handelte.

Unter den Sophisten gab es auch zwei bedeutende Mathematiker: Zenon von Elea (um 450 v. Chr.) und Hippias 'von Elis (um 420 v. Chr.). Hippias versuchte, das Problem der Winkeldreiteilung mittels der "Quadratrix" zu lösen (diese Quadratrix ist vermutlich die erste in der Mathematik eingeführte über Gerade und Kreis hinausgehende Kurve). Zenon stellte durch seine scharfsinnigen Sophismen (=Spitzfindigkeiten) die landläufigen Ansichten über das Wesen von Raum, Zeit und Bewegung in Frage (sein bekanntestes Sophisma ist wohl das von Achilles und der Schildkröte). Er ging damit gegen das "diskrete" Weltbild der Pythagoräer los und vertrat das damit im Gegensatz stehende Grundprinzip der Unteilbarkeit und Beständigkeit allen Seins, wie es die Eleaten lehrten. Zenon ist so ein Vorläufer des Begriffes der Stetigkeit. (Der Gegensatz "diskret - kontinuierlich" war also schon im Altertum vorhanden.) Mit seinem Sophisma von Achilles und der Schildkröte will Zenon zeigen, daß die Annahme der Teilbarkeit des Raumes, der Zeit und der Bewegung zu einem absurden Resultat führt ("Achilles holt die Schildkröte niemals ein"). Er ist damit auch der Begründer der Methode des indirekten Beweises. Nicht zuletzt hat Zenon dazu beigetragen, den Griechen die Arithmetik zu verleiden, so daß sie die Geometrie bevorzugten und ihre Mathematik weitgehend auf die Geometrie aufbauten.

Platon (427 v. Chr. - 347) und Aristoteles von Stagira (384 v. Chr. - 322) waren in erster Linie Philosophen. Sie wirkten beide in Athen und haben auf dem Weg über die Kirchenlehrer des Frühchristentums und auf dem Weg über den Humanismus die Entwicklung der abendländischen Wissenschaft entscheidend beeinflußt. Platon hat selbst keine mathematischen Einzelleistungen von Bedeutung vollbracht, hat aber der Mathematik an der von ihm gegründeten und geleiteten Akademie in Athen große Wichtigkeit zugemessen - über dem Eingang der Akademie stand der Satz: "Kein de Geometrie Unkundiger möge hier eintreten". Platon war mit allen bedeutender Mathematikern seiner Zeit in Verbindung und berief manche von ihnen an seine Akademie. Er übernahm die Schlußweisen der Mathematik auch auf andere Gebiete und versuchte überall eine streng logische Systematik nach dem Schema: "Definitionen, Axiome, Beweise (in direkter oder indirekter Schlußweise)" einzuführen. Ihm wird die Erfindung der "analytischen Beweismethode" (von der Behauptung auf richtige Aussagen schließen und dann versuchen, die Schlußkette umzukehren), sowie die Beschränkung der für geometrische Konstruktionen zulässigen Hilfsmittel auf Zirkel und Lineal zugeschrieben. Die "Elemente" des Euklid stehen ganz unter dem Einfluß der Forderungen Platons. Auch Aristoteles war kein Mathematiker, sondern vor allem Philosoph und Biologe, aber ebenfalls an der Mathematik sehr interessiert. Seine formale Logik ist schon ganz auf mathematische Schlüsse gestützt und sicher unter dem Einfluß der damaligen Mathematik entstanden. Seine Diskussion des potentiell und aktual Unendlichen in der Mathematik macht ihn zu einem Vorläufer von Cantors Mengenlehre und der modernen Grundlagenforschung.

Platons bedeutendste Schüler waren Theaitetos und Eudoxos von Knidos (beide um 370 v. Chr.). Theaitetos zeigte, daß die Quadrat- bzw. Kubikwurzel aus einer natürlichen Zahl, die keine Quadrat- bzw. Kubikzahl ist, eine irrationale Zahl ist. Er hat höchstwahrscheinlich das Klassifikationsproblem der regulären Polyeder gelöst, indem er zeigte, daß es neben den drei schon den Pythagoräern bekannten Polyedern noch das Oktaeder und das lkosaeder, aber keine weiteren regulären Körper gibt. Eudoxos war auch als Arzt und Astronom, Philosoph und Geograph berühmt und einer der bedeutendsten Mathematiker des Altertums. Seine bekannteste Leistung ist die Proportionenlehre, die erste exakte Theorie der Irrationalzahlen. Die Definition der Irrationalzahlen erfolgt dabei im wesentlichen mittels Dedekindscher Schnitte. Seine zweite große Leistung ist die Erfindung der Exhaustionsmethode auf Grund des von ihm eingeführten "eudoxischen Axioms": Wenn zwei Zahlen beide von Null verschieden sind, dann gibt es stets ein ganzzahliges Vielfaches der ersten Zahl, das größer ist als die zweite, und ein ganzzahliges Vielfaches der zweiten Zahl, das größer ist als die erste. Mit Hilfe der Exhaustionsmethode bewies Eudoxos die Inhaltsformeln von Pyramide und Kegel und zeigte. daß der Kreisinhalt dem Durchmesserquadrat und der Kugelinhalt dem Durchmesserkubus proportional ist; er ist somit einer der ersten Vorläufer der Integralrechnung. Menaichmos und Deinostratos (um 350 v. Chr.) waren Schüler des Eudoxos. Menaichmos gab eine Lösung für das delische Problem der Würfelverdoppelung und entdeckte dabei die Kegelschnitte. Deinostratos löste das Problem der Quadratur des Kreises mit Hilfe der von Hippias entdeckten Quadratrix. Autolykos von Pitane (um 350 v. Chr.) war zwar als Mathematiker und Astronom nicht sehr bedeutend, er ist aber der erste griechische Mathematiker, von dem Bücher vollständig erhalten sind, nämlich das Buch "Über die sich drehende Sphäre" und das Buch "Über den Aufgang und Untergang der Sterne". Aus diesen Büchern gewinnt man einen Einblick in den mathematischen Stil der damaligen Zeit , der schon recht streng war. Der Verfasser verwendet ohne Beweise und Quellenangaben eine Reihe geometrischer Sätze, die daher damals schon "well known" gewesen sein müssen.