[ Einführung ]
Die Mathematik der klassischen Antike ist fast ausschließlich eine Mathematik der Griechen. Diese sind um etwa 2000 v. Chr. aus dem Norden in den Mittelmeerraum eingewandert und entwickelten allmählich eine hochstehende Kultur. Die griechische Kultur ist Grundlage für die abendländische Politik und für die abendländische Kunst. Vor allem aber haben die Griechen den abendländischen Wissenschaftsbegriff hervorgebracht, der im Streben nach Erkenntnis um ihrer selbst willen besteht, ohne Rücksicht auf etwaige praktische Anwendbarkeit der Erkenntnisse. Das Streben nach Erkenntnis ist dabei eher auf das Gedankliche und Abstrakte als auf die reale Welt gerichtet; die Wissenschaften, die die Griechen vor allem zur erstaunlichen Vollkommenheit entwickelten, sind daher die Philosophie und die Mathematik. In den eigentlichen Naturwissenschaften hingegen gelangten die Griechen trotz bemerkenswerter Einzelleistungen zu wesentlich geringerer Höhe - es erscheint zweifelhaft, ob das wirklich, wie manche behaupten, eine Folge der Sklavenhaltergesellschaft war, welche die Ausnützung der Naturkräfte nicht erforderlich machte. Die Griechen hatten ein zwar ausgeklügeltes, aber doch unrichtiges Weltsystem, und ihre physikalischen Kenntnisse gingen über die Mechanik kaum hinaus. Auch das praktische Rechnen wurde von den griechischen Gelehrten weitgehend vernachlässigt, und das elementare Rechnen (also die vier Grundrechnungsarten und elementare praktische Aufgaben) rechneten die Griechen überhaupt nicht zur Mathematik, sondern betrachteten es als ein eigenes Wissensgebiet, die sogenannte "Logistik". Sicher hatten die Griechen auf diesem Gebiet als Handelsvolk einige Fähigkeiten, die sie zum Teil von den Ägyptern und Babyloniern übernommen hatten, und auch die Mathematiker wendeten diese Fähigkeiten gelegentlich an; die griechische Mathematik war aber doch im wesentlichen eine "reine" Mathematik, und die Abneigung vieler Mathematiker gegenüber praktischen Problemen geht wohl zum Teil bis auf die Griechen zurück.
An sich hatten die Griechen ein Dezimalsystem, ihre Ziffernschreibweise war aber kompliziert und umständlich - deshalb übernahmen die antiken Astronomen zum Teil das babylonische Sexagesimalsystem. Ihre Rechentechnik war aber auch in diesem System eher schwerfällig. In der Praxis rechneten sie daher meist überhaupt mit dem Rechenbrett, dem "Abakus". Es war somit ein entscheidender Fortschritt, als dann um die Wende zur Neuzeit die modernen Algorithmen für die vier Grundrechnungsarten erfunden und verbreitet wurden; erst dies ermöglichte die systematische Behandlung komplizierter numerischer Probleme und bildete dadurch die Grundlage für die heutige Naturwissenschaft und Technik, aber auch für das heutige Wirtschaftssystem. Damit wurde der Abakus verdrängt. Heute hat man an seiner Stelle den Taschenrechner.
Die Römer waren zwar ein in vieler Hinsicht - Rechtswesen, Baukunst, Bautechnik Straßenbau, Heereswesen - hervorragend begabtes Volk, in der Mathematik leisteten sie aber nichts. Was Zur Römerzeit an Mathematik betrieben wurde und aus dieser Zeit überliefert ist, stammt alles von den Griechen. Es gelingt den Historikern, die die Entstehung der Mathematik auf gesellschaftliche Triebkräfte zurückführen, in keiner Weise, zu erklären, warum die Römer im Gegensatz zu den Griechen keine Mathematik entwickelten.
Wir geben nun einen Überblick über die Mathematik des klassischen Altertums, also über die griechische Mathematik, und wollen auch einige wichtige Vertreter der einzelnen Perioden vorstellen. Es ist bemerkenswert, daß nun schon Namen einzelner Gelehrter im Vordergrund stehen; diese Namen werden in verschiedenen Quellen überliefert.
Wir können die griechische Mathematik in vier große Perioden einteilen:
- Die Ionische Periode (Thales, Pythagoras und die Pythagoräer, Anaxagoras, Demokritos, Hippokrates, Theodoros) reicht von etwa 600 v. Chr. - 400 v. Chr.
- Die Athenische Periode (die Sophisten, Platon, Aristoteles, Theaitetos, Eudoxos, Menaichmos, Deinostratos, Autolykos) von etwa 400 v. Chr. - 300 v. Chr.
- Die Alexandrinische Periode (Eukleides, Aristarchos, Archimedes, Eratosthenes, Nikomedes, Apollonios) von etwa 300 v. Chr. - 200 v. Chr.
- Die Spätzeit (Hipparchos, Menelaos, Heron, Ptolemaios, Diophantos, Pappos) von etwa 200 v. Chr. - 300.