[ Die Zahl Pi ]
Das Quadraturproblem des Kreises läuft im wesentlichen auf die Bestimmung der Zahl Pi hinaus, also jener Zahl, die das Verhältnis von Umfang und Durchmesser eines Kreises angibt. Wie schon früher ausgeführt wurde, nahm man in den antiken Hochkulturen des Orients für Pi häufig den Wert 3 an, was für einfache Bedürfnisse in der Praxis wohl auch genügte. Man findet in den Quellen aber auch schon bessere Näherungswerte für Pi . So wird etwa im Papyrus Rhind des Schreibers Ahmes für Pi der Wert = 3,1604... verwendet. Auf einem babylonischen Tontäfelchen findet sich = 3,125 als Näherungswert für Pi .Alle diese Werte wurden wahrscheinlich empirisch aufgestellt. Den ersten wissenschaftlich ernstzunehmenden Versuch zur genaueren Bestimmung von u unternahm Archimedes. Den von ihm
eingeschlagenen Weg zur Bestimmung von u nennt man heute noch "Klassische Methode zur Berechnung von Pi". Archimedes formulierte folgenden Satz: Das Verhältnis des Umfanges eines Kreises zu seinem Durchmesser ist kleiner als und größer als Diesen Satz bewies er so: Er ging aus von der Beobachtung, daß der Umfang des Kreises zwischen dem Umfang eines eingeschriebenen regelmäßigen n-Ecks und dem des umgeschriebenen regelmäßigen n-Ecks liegt. Archimedes schrieb nun einem gegebenen Kreis der Reihe nach regelmäßige Polygone von 12, 24, 48 und 96 Seiten ein und betrachtete auch die entsprechenden umgeschriebenen Polygone. Er verwendete zur Ermittlung des Umfanges dieser Polygone im wesentlichen die Rekursionsforrneln für die Seitenlängen bzw. des einem Kreis vom Radius R eingeschriebenen (bzw. umgeschriebenen) regelmäßigen 2n-Ecks:
;
Aus und ergaben sich dann die angegebenen Schranken. Durch Archimedes wurde Pi also mit 3,14 auf zwei Dezimalen genau angegeben.
In der Zeit nach Archimedes begnügt man sich meist mit als zufriedenstellendem Näherungswert für Pi. Die erste Verbesserung dieses Wertes finden wir im Werk des Ptolemaios, der 3,1416 angab. Dies gelingt ihm, indem er den Mittelwert der Archimedischen Abschätzung nimmt.
Um 480 gelangte der Chinese Tsu Chung-Chih zum Wert = 3,1415929 für Pi, der auf sechs Stellen genau ist.
In der indischen Mathematik finden wir verschiedene Werte für Pi . Aryabhatiya (um 510) gab folgende Regel zur Bestimmung von Pi an:
"Addiere 4 zu 100, multipliziere mit 8, und addiere 62000. Das Resultat ist der ungefähre Wert des Umfanges eines Kreises mit dem Durchmesser 20000."
Das führte auf einen Wert = 3,1416. Um 1150 verwendete Bhaskara als "genauen" Wert für Pi die Zahl
als "ungenauen" Wert die Zahl , und als Wert für den täglichen Gebrauch die Zahl . Fibonacci setzte 1220 für Pi = 3,141818, um 1430 setzt al-Kasi Pi = 3,1415926535898732, und Tycho de Brahe nahm für Pi den Wert = 3,1409.
1579 bestimmte Francois Viéte mit der klassischen Methode unter Verwendung eines Polygons mit Seiten Pi auf neun Dezimalen genau:
3,1415926535 < Pi < 3,1415926537.
Nun wurden regelmäßige Polygone mit immer größeren Seitenzahlen eingesetzt.
Adriaen von Roomen verwendete das regelmäßige -Eck zur Abschätzung von Pi nach der klassischen Methode und erreichte damit eine Genauigkeit auf 15 Dezimalstellen. Dieser Rekord wurde 1610 vom Deutschen Ludolph van Ceulen weiter verbessert, er verwendete nämlich das regelmäßige -Eck für seine Approximation. Durch seine Rechenkunst diese wurde von seinen Zeitgenossen sehr bewundert - erreichte er eine Genauigkeit von 35 Dezimalstellen. Die Berechnung von Pi empfand Ludolph als sein Lebenswerk. Er ließ seine beste Approximation auf seinem Grabstein eingravieren. Noch heute wird Pi bei uns oft "die Ludolphsche Zahl" genannt.
1621 verbesserte Willebrord Snell die klassische Methode durch Hinzunahme trigonometrischer Hilfsmittel. Damit erreichte er Ludolph van Ceulens Genauigkeit bereits bei Approximation mit dem regelmäßigen -Eck. Kurz darauf, 1630, berechnete Grienberger Pi auf 39 Dezimalen genau. Er verwendete die von Snell verbesserte klassische Methode.
1671 legte James Gregory die Grundlage für eine neue Methode für die Berechnung von Pi , indem er folgende Reihenentwicklung angab:
Unter Verwendung dieser Reihenentwicklung gelangte 1699 Abraham Sharp zu einem auf 71 Dezimalstellen genauen Wert von Pi ; er berechnete dazu obige Reihe für . Eine Genauigkeit von 100 Dezimalstellen wurde dann 1706 von John Machin erreicht. Dieser setzte zusätzlich zu obiger Reihenentwicklung die Beziehung
ein. 1719 brachte die nächste "Rekordverbesserung". Der Franzose de Lagny schraubte die Genauigkeit auf 112 Stellen hinauf. 1777 fand Comte de Buffon eine Näherung für Pi mittels seines Nadelexperiments durch Methoden der Wahrscheinlichkeitstheorie, die aber von rein theoretischem Interesse war, denn sie lieferte Werte für Pi , die ungleich weniger genau waren als die damals schon bekannten Werte. Im Laufe der folgenden Zeit aber wurde Pi immer genauer angegeben. 1841 war man bei einer Genauigkeit von 208 Stellen angelangt, zumindest behauptete das der Engländer William Rutherford von seiner Berechnung; allerdings erwiesen sich dann nur 152 Stellen als richtig. 1844 kam aber Zacharias Dase tatsächlich auf eine Genauigkeit von 200 Stellen. Das ließ Rutherford keine Ruhe, und so berechnete er Pi im Jahre 1853 auf 400 Dezimalstellen genau. Die Genauigkeit wurde 1873 nochmals (durch William Shanks) auf 707 Stellen verbessert. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die großen Rechenanlagen zur genaueren Berechnung von Pi eingesetzt. 1966 kannte man Pi bereits auf eine halbe Million Dezimalstellen genau.
Auch die heute übliche Bezeichnungsweise für Pi hat sich erst allmählich durchgesetzt:
Die englischen Mathematiker William Dughtred und Isaac Barrow bezeichneten den Umfang des Kreises mit Pi . Der erste, der Pi als Symbol in unserem heutigen Sinn verwendete, war der Schriftsteller William Jones 1706. Bis dahin hatte man immer die Archimedische Sprechweise (d.h. "Verhältnis Umfang zu Durchmesser") verwendet. Erst Euler brachte 1737 das Symbol im heutigen Sinn in allgemeinen Gebrauch.
Die Irrationalität, von Pi Wurde schon 1707 von Johann Heinrich Larnbert gezeigt, aber erst 1882 bewies F. Lindemann die Transzendenz von Pi (zur Erinnerung: eine Zahl heißt transzendent, wenn sie nicht algebraisch ist, d.h. wenn sie nicht Wurzel eines Polynoms mit rationalen Koeffizienten ist).
Ende des vorigen Jahrhunderts entstand eine Reihe von Pi-Gedichten. Durch diese kann man die ersten Stellen der Dezimalentwicklung von Pi reproduzieren, wenn man die Buchstaben der einzelnen Wörter der Verse zählt und diese Zahlen aneinanderreiht.
Dazu drei Beispiele:
Wie o dies
Macht ernstlich so vielen viele Müh'!
Lernt immerhin, Jünglinge, leichte Verselein,
Wie so zum Beispiel dies dürfte zu merken sein!
oder:
Now I, even I, would celebrate
In rhymes unapt, the great
Immortal Syracusan, rivaled nevermore,
Who in bis wondrous lore,
Passed on before
Left men bis guidance
How to circles mensurate.
oder:
How I want a drink, alcoholic of course,
after the heavy lectures involving
quantum mechanics.
Die Geschichte der Bestimmung von Pi ist nicht frei von Kuriositäten. Sie lehrt uns zum Beispiel, nicht alles zu glauben, was in Zeitungen steht, und auch nicht alles für wichtig zu nehmen, was Politiker beschließen. So schrieb ein Journalist 1892 in der New York Tribune über die sensationelle Wiederentdeckung eines seit langem verlorengegangenen Resultats, welches zeigt, daß Pi den Wert 3,2 habe, und die Landesregierung von Indiana, USA, beschloß in ihrer Gesetzesvorlage Nr. 246, daß Pi den Wert habe.
Zum Abschluß noch ein Wort zum praktischen Wert der immer genaueren Berechnung von Pi:
Um den Umfang eines Kreises auf 1 Millimeter genau zu erhalten, genügt eine Genauigkeit von 5 Dezimalen, wenn der Radius 50 Meter (oder weniger) beträgt. Wenn der Radius so groß wie der Erdradius ist, also 6370 km, genügen 11 Dezimalstellen Genauigkeit. Und wenn man einen Kreis nimmt, dessen Radius so groß ist wie der Abstand der Erde von der Sonne, also etwa 149,5 Millionen Kilometer, und man will den Kreisumfang auf Millimeter genau haben, so genügen 15 richtige Dezimalstellen von Pi.
Um zu demonstrieren, welche unfaßbar große Genauigkeit mit 100 richtigen Dezimalstellen der Zahl Pi erreichbar ist, ist einmal folgende Aufgabe betrachtet worden: Man nehme eine Kugel, in deren Mitte unsere Erde liege und die bis zum Sirius reiche (das Licht, das 300 000 km in der Sekunde zurücklegt, braucht bis dorthin etwa Jahre);
man fülle diese Kugel mit Bazillen, so daß auf jeden Kubikmillimeter eine Billion = 1000 000 000 000 Bazillen kommen. Man stelle nunmehr alle diese Bazillen auf einer geraden Linie so auf, daß die Entfernung vom ersten Bazillus zum zweiten so groß ist wie die Entfernung Erde-Sirius; ebenso groß sei die Entfernung vom zweiten zum dritten Bazillus, vom dritten zum vierten usw. Die Entfernung vom ersten zum letzten Bazillus nehme man als Radius eines Kreises. Berechnet man dann den Umfang dieses Kreises, indem man 100 Dezimalen der DezimalbruchentwickiLing von u benützt (höhere Dezimalen also unberücksichtigt läßt), dann wird - trotz der ungeheuren Größe des Kreises - der bei der Berechnung auftretende Fehler kleiner als ein Zehnmillionstel eines Millimeters.