Aufklärung

[ Einleitung ]

In der Zeit der Aufklärung wendet man sich immer mehr dem Rationalismus zu. Der Verstand gilt nun als oberste Instanz, auf die auch der Glaube aufgebaut wird. Die Offenbarung als Glaubensquelle wird mehr und mehr zurückgedrängt und damit auch die Macht der Kirche und der Orden - soweit noch vorhanden - immer mehr eingeschränkt. Die Aufklärung wird nicht zuletzt durch die Fortschritte auf dem Gebiet der Mathematik und Physik in Gang gebracht, umgekehrt verleiht sie den Naturwissenschaften und der Mathematik weiteren Schwung. Die Hauptleistung dieser Zeit auf dem Gebiet der Mathematik ist, wie bereits erwähnt, die Entstehung und der Ausbau des "Calculus", des formalen Apparates der Infinitesimalrechnung, des wirksamsten geistigen Werkzeuges, das der menschliche Geist ersonnen hat. Die Entdecker des Calculus waren Leibniz und Newton, die wichtigsten Beiträge zu seinem Ausbau lieferten die Brüder Bernoulli und deren Nachkommen, sowie Euler. Auch dessen Zeitgenossen d'Alembert und Clairaut haben zur Weiterentwicklung des Calculus beigetragen. Sie legten den Grundstein für den ungeheuren Aufschwung, den die Mathematik in Frankreich um die Zeit der Revolution nahm. Wir werden darauf im Kapitel über die Weltmathematik zurückkommen.

In der Zeit der Aufklärung beginnt sich die Mathematik und darüber hinaus die Naturwissenschaft zu organisieren. Die Mathematik wird nun auf hohem Niveau im Kreis der führenden Wissenschaftler betrieben. Diese stehen zum Teil miteinander in brieflichem oder persönlichem Kontakt. Allerdings führt die Weitergabe neuer Ergebnisse durch derartige Kontakte - sei es mündlich oder brieflich - nur zu einer mangelhaften Verständigung und oft zu Mißverständnissen oder Streitigkeiten. Selbstverständlich erscheinen auch immer wieder Bücher über einigermaßen abgeschlossene Theorien, aber diese sind stets weit hinter dem aktuellen Stand der Forschung zurück. Das mathematische Durchschnittsniveau hingegen ist noch recht tief und der Mathematikunterricht recht elementar. Es gibt auch keinerlei Einführungswerke, in denen die neuen Ergebnisse dargestellt werden. Die Weitergabe von aktuellen Resultaten erfolgt oft auch über interessierte und kontaktfreudige Persönlichkeiten, die es verstehen, den Forschern ihre Ergebnisse herauszulocken, und diese dann weitergeben. Daß die Mathematiker aber darauf bedacht sind, neue Methoden geheimzuhalten, und gewöhnlich nur kurze Mitteilungen über ihre Ergebnisse machen, ergibt sich einerseits aus dem großen Ehrgeiz der damaligen Forscher, der zu hartem Wettstreit um neue Resultate fÜhrte, andererseits aus dem Fehlen von Regeln über den Urheberschutz. Es war gang und gäbe, daß neue Methoden und Sätze von anderen übernommen und als eigene Errungenschaften ausgegeben wurden.

Diese Erscheinungen und die sich daraus ergebenden Auseinandersetzungen führten dazu, daß sich durch die Initiative aktiver Gelehrter der Wissenschaftsbetrieb auf dem Gebiet der Mathematik und der Naturwissenschaft allmählich zu organisieren begann. Diesbezügliche Bestrebungen wurden von den Herrschern und den Regierungen vieler Länder sehr gefördert, da diese die Bedeutung der Mathematik und der Naturwissenschaften für die Wirtschaft allmählich erkannten. So entstanden die "Royal Society" (1660), die Pariser "Académie des Sciences" (1666), später wurden Akademien auch in St.Petersburg, Berlin und anderen Orten gegründet. (In Wien hingegen kam es erst um 1840 zur Gründung einer Akademie, also zu einer Zeit, wo die anderen Akademien zum Teil schon weltberühmt waren und auf Jahrhunderte hervorragender Leistungen zurückblicken konnten.) Ferner entstanden nun die ersten wissenschaftlichen Zeitschriften, insbesondere 1665 die "Philosophical Transactions" und das "Journal des Scavans", 1682 die "Acta eruditorum". Diese Zeitschriften veröffentlichten die neuen Ergebnisse auf dem Gebiet der Mathematik, der Naturwissenschaften, aber auch anderer Wissensgebiete.

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