Arithmetik

[ Die Zahlenschreibweise in vorgriechischer Zeit ]

Die frühen Hochkulturen hatten bereits systematisch aufgebaute Zahlenschriften. Denkt man daran, daß schon vor deren Entwicklung die Zahlen im Gespräch sicherlich auch veranschaulicht wurden, und bedenkt man, daß sich für diesen Vorgang zunächst einmal die Finger anbieten, dann erscheint es nicht verwunderlich, daß die meisten dieser Zahlenschriften dezimal aufgebaut sind.

Bereits in der Frühzeit der ägyptischen Hochkultur (um 3000 v. Chr.) findet man Zahlzeichen in Hieroglyphenschrift, wobei es spezielle Symbole für die Zehnerpotenzen von 1 bis 1 000 000 gibt:

Mit Hilfe dieser Zahlensymbole wurden die einzelnen natürlichen Zahlen durch Aneinanderreihen angeschrieben, wobei man mit dem kleinsten notwendigen Symbol links begann und die Symbole für die höheren Potenzen rechts anfügte. Wir wollen bei unserer Darstellung aber mit dem größten Symbol beginnen und dann nach rechts die kleineren Symbole anfügen (wie wir das ja heute gewohnt sind). So würde etwa die Zahl 1234567 so dargestellt werden:

Im Laufe der Zeit wurde diese Schreibweise als zu lang empfunden, und man ging zu einer Produktdarstellung großer Zahlen über. So schrieb man etwa die Zahl 2 800 000 so an:

was soviel wie 28 - 100 000 bedeutet.

Die Addition in diesem System bereitete keine Schwierigkeiten. Man brauchte nur abzuzählen, wie viele Einer, Zehner, Hunderter usw. dastehen. Analog ging man bei der Subtraktion vor. In dieser Zahlenschrift benötigte man auch kein Zeichen für die Null. Allerdings findet man auf dem Tempel von Edfu eine Insciirift, in der ein Zeichen für die Null verwendet wird. In dieser Inschrift aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus wird angegeben, wie man die Fläche F von schmalen viereckigen Grundstücken berechnet. Bezeichnen wir die Seiten des Vierecks mit a, b, c und d, so läuft die Beschreibung der Flächenberechnung (in unserer modernen Schreibweise) auf die Formel hinaus. Diese Formel ist natürlich (außer bei Rechtecken) falsch. Für dreieckige Grundstücke kann man das Verfahren aus der Inschrift durch die Formel beschreiben. Die Multiplikation von (natürlichen) Zahlen führten die Ägypter durch fortgesetztes Verdoppeln und anschließendes Addieren der Ergebnisse durch. Dazu ein Beispiel:

Im Papyrus Rhind tritt bei der Aufgabe 32 das Problem auf, das Produkt 12 * 12 zu berechnen:

Die hier in Hieroglyphenschrift dargestellte Vorgangsweise bei der Berechnung des Produktes ist also folgendermaßen: Da 12 = 8 + 4, bildet man eine Kolonne und kennzeichnet 4 und 8

1

 

12

2

 

24

4*

 

48

8*

 

96

Die gewonnenen Ausdrücke für das 4- und 8-fache von 12 addiert man und erhält als Summe (dieses Wort wird gekennzeichnet durch die Hieroglyphe= Buchrolle mit Siegel) 144. Zur Ausführung der Division kehrten die Ägypter die Fragestellung einfach um und machten die Division zu einer Art Multiplikation. Um beispielsweise 753 durch 26 zu dividieren, schrieben sie eine Verdoppelungskolonne für 26 an:

1

 

26

2

 

52

4*

 

104

8*

 

208

16*

 

416

und zwar so lange, bis man durch weiteres Verdoppeln eine Zahl erhalten hatte, die den Dividend 753 überstieg. Es ist 753 = 416 + 337, und 337 liegt zwischen dem 8-fachen und dem 16-fachen. Also erhält man die Zerlegung 753 = 416 + 208 + 129. Nun wiederholt man den Vorgang und erhält:

753 = 416 + 208 + 104 + 25

Die dabei verwendeten Vielfachen wurden gekennzeichnet und 16 + 8 + 4 = 28 ausgerechnet. Als Resultat erhielt man: Das Ergebnis der Division ist 28, und es blieb ein Rest von 25.

Diese Methode der Verdoppelung hat sich bis in die hellenistische Zeit gehalten und als "ägyptisches Rechnen" Eingang in den griechischen Schulunterricht gefunden. Nach dieser Methode mußte man ja keine Multiplikationstafeln auswendig lernen. Obendrein war sie ideal für das Rechnen am Rechenbrett (Abakus) geeignet.

Wie wir schon früher ausgeführt haben, war die Mathematik der Ägypter aus praktischen Bedürfnissen entstanden und diente zur Bewältigung von Problemen des täglichen Lebens. Eine Beschreibung von Aufgaben, die mit Hilfe der Mathematik behandelt werden, gibt der Papyrus Anastasi I. Dort rügt ein Schreiber den anderen mit folgenden Worten (siehe [6] ):

"Ich will dir darlegen, was dein Wesen ist, wenn du sagst: Ich bin der Befehlsschreiber des Heeres. Man gibt dir einen See auf, den du graben sollst. Da kommst du zu mir, um dich nach dem Proviant für die Soldaten zu erkundigen, und sagst: Rechne ihn mir aus. Du läßt dein Amt im Stich, und es fällt auf meinen Nacken ... Ich mache dich verlegen, wenn ich dir einen Befehl deines Herrn eröffne, der du ja ein königlicher Schreiber bist ... der erfahrene Schreiber, der an der Spitze des Heeres steht. Es soll eine Rampe gemacht werden, 730 Ellen lang und 55 Ellen breit, die 120 Kästen enthält und mit Rohr und Balken gefüllt ist; oben 30 Ellen hoch, in der Mitte 30 Ellen ... Man erkundigt sich nun bei den Generälen nach dem Bedarf an Ziegeln für sie, und die Schreiber sind allesamt versammelt, ohne daß einer unter ihnen etwas weiß. Sie vertrauen alle auf dich und sagen: Du bist ein erfahrener Schreiber, mein Freund; so entscheide das schnell für uns, sieh, du hast einen berühmten Namen ..."

Um alle auftretenden Probleme mathematisch bewältigen zu können, reichten die natürlichen Zahlen allein nicht aus. Man benötigte zusätzlich Brüche (also die positiven rationalen Zahlen). Zur Darstellung von Brüchen verwendeten die Ägypter nur Stammbrüche (also Brüche mit dem Zähler 1). Lediglich der Bruch war eine Ausnahme, und es gab dafür ein eigenes Symbol. Weiterhin gab es noch je ein eigenes Zeichen für und auch für . Alle anderen Stammbrüche wurden durch Angabe des Nenners bezeichnet, über den man ein kleines ellipsenförmiges Zeichen setzte:

Sonderzeichen:

 

Für die Ausführung der Multiplikation durch fortgesetzte Verdoppelung benötigten die Ägypter die Zerlegung von Brüchen der Form in Stammbrüche. Dafür berechneten sie entsprechende Tafeln. Bevor im Papyrus Rhind auf die Behandlung von konkreten Aufgaben eingegangen wird, ist so eine Zerlegungstafel für in Stammbrüche für ungerade n von 5 bis 101 angegeben. Es gibt nur Vermutungen, warum die Ägypter gerade diese Zerlegungen von ausgewählt hatten. Sicherlich wollte man eine geringe Gliederzahl der Stammbruchsumme erreichen, möglichst kleine Nenner im Hauptbruch und bei der Summe von mehr als zwei Gliedern große Nenner im letzten Restbruch. In jedem Fall wurde nur eine der möglichen Zerlegungen angegeben. So findet man etwa die Zerlegungen

Durch die Verwendung von Brüchen kann man nun Divisionen ohne Rest ausführen. Die Aufgabe 24 aus dem Papyrus Rhind verlangt, man solle "mit 8 rechnen, bis man 19 findet" Es ist also die Division 19 durch 8 auszuführen. Dies wird auf folgende Weise gemacht:

1

 

8

2*

 

16

 

4

 

2

 

1

Da 19 = 16 + 2 + 1 ist, erhält man als Quotienten .

In der späteren Entwicklung der ägyptischen Schrift entstehen dann durch Verschmelzung der aneinandergereihten Zeichen für 1 bis 9, 10 bis 90, 100 bis 900 und 1000 bis 9000 individuelle Symbole, die eine Verkürzung der Zahlenschreibweise ermöglichen. Eine Übersicht über die Zahlenzeichen in der hieratischen und der demotischen Schrift ist in einer Tabelle zusammengestellt.

Auch die Babylonier entwickelten eine eigene Darstellungsweise für die natürlichen Zahlen und für positive Brüche. Ihre Zahlenschreibweise können wir als positionelles Sexagesimalsystem bezeichnen. Die natürlichen Zahlen unter 60 werden mittels zweier Zeichen (für 1) und (für 10) dezimal angegeben. Diese Zeichen wurden durch Eindrücken eines "Keils" mit dreieckigem Querschnitt in verschiedenem Winkel auf ein Tontäfelchen geschrieben.

Hernach wurden die Tontäfelchen mit wichtigem Inhalt gebrannt und blieben dadurch erhalten. Eine Unzahl solcher Keilschrifttäfelchen mit mathematischem Inhalt wurde bei Ausgrabungen gefunden.

Die Zahl 60 wurde mit dem Symbol für 1 bezeichnet, aber auch , , usw. wurden durch dieses Zeichen repräsentiert. Analog konnte das Zeichen für 10 auch usw. bedeuten.

Der Wert eines Zeichens hing also von der Position ab, die es in der Zahlendarstellung einnahm.

Die Zahl konnte somit als usw. gedeutet werden. Wurde eine Stelle in der Sexagesimaldarstellung einer Zahl nicht benötigt, so ließ man einen größeren Zwischenraum. Im Laufe der Zeit verwendete man dann statt des Zwischenraumes ein Lückenzeichen:

Aus der sumerischen Zeit sind Multiplikationstafeln bis erhalten geblieben, und auch Tafeln der Reziprokwerte. Die ersteren wurden offensichtlich für die Multiplikation verwendet, und die Division wurde durch die Multiplikation mit dem Kehrwert bewerkstelligt.

Der Entzifferungsschlüssel für die Keilschrifttäfelchen wurde von Rawlinson 1847 entdeckt. Das Zahlensystern der Babylonier lebt in unseren heutigen Maßsystemen zum Teil noch weiter. So verdanken wir den Babyloniern z.B. die Einteilung des Kreisumfanges in 360 gleiche Teile. Eine Erklärung dafür hat Otto Neugebauer als Hypothese angegeben: In der Frühzeit der Sumerer gab es eine Einheit für große Entfernungen, eine Art "babylonische Meile" (sie war etwa gleich sieben heutigen Meilen). In natürlicher Weise wurde daraus eine Zeiteinheit, bezeichnend die Zeit. die man zur Zurücklegung einer babylonischen Meile brauchte. Im ersten Jahrtausend vor Christus begann man im babylonischen Kulturkreis, systematische Aufzeichnungen über Himmelsbeobachtungen durchzuführen. Um Zeitspannen zu messen, verwendete man die babylonische Meile. Man fand. daß ein Tag aus 12 Zeiteinheiten bestand und daß ein voller Tag äquivalent zu einer Himmelsumdrehung war. Die babylonische Meile teilte man für praktische Zwecke in 30 Unterteile. So erhielt man 360 gleiche Teile für den vollen Umlauf.

 

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