Gleichungen

[ Die italienischen Algebraiker in der Renaissancezeit ]

Die numerische Lösung der kubischen Gleichung gelang den italienischen Algebraikern der Renaissancezeit. Die Lösung wurde erstmals von Cardano in seiner "Ars magna" publiziert (1545). In diesem Buch findet sich auch die Auflösungsformel für die allgemeine Gleichung vierten Grades, die von Cardanos Schüler und Schwiegersohn Ferrari entdeckt wurde.

In der "Ars magna" stellt Cardano die neuen Ideen auf dem Gebiet der Algebra systematisch dar. Neben den Auflösungsformeln für Gleichungen bis zum Grad vier diskutiert Cardano einige allgemeine Sätze, die auf das Lösen von Gleichungen vorbereiten. Diese Sätze befassen sich mit der Reduktion des Grades einer Gleichung, mit der Umformung von Gleichungen in kanonische Gleichungstypen und mit der Anzahl der Lösungen von Gleichungen. Das Buch kann also als Ansatz zu einer allgemeinen Gleichungstheorie angesehen werden (das erste Kapitel heißt beispielsweise "Über die zwei Lösungen bei einzelnen Gleichungsarten"). Cardano behält die Einteilung in Gleichungstypen mit positiven Koeffizienten bei. Allerdings kommen vereinzelt auch negative Koeffizienten in den Gleichungen vor. Vor allem aber werden auch negative Zahlen als Lösung zugelassen. Im ersten Kapitel führt Cardano aus:

"Nun wollen wir uns daran erinnern, daß wir gezeigt haben, daß es gerade und ungerade Potenzen (der Unbekannten) gibt. Das Quadrat, das Quadrat des Quadrats, der Kubus des Quadrats usw. sind gerade, während die erste Potenz, der Kubus, die fünfte und siebente Potenz ungerade (Potenzen) sind. Weiters wird man sich erinnern, daß 9 sowohl aus 3, als auch aus -3 ableitbar ist, denn Negatives mal Negativem ergibt etwas Positives. Im Fall der ungeraden Potenzen jedoch behält jede ihre eigene Eigenschaft: sie ist niemals positiv, außer sie leitet sich von einer wahren Zahl ab, und ein Kubus, dessen Wert negativ ist - was wir "debitum" nennen - kann sich niemals aus einer wahren Zahl ableiten. Dies müssen wir uns stets klar vor Augen halten.

Ist daher eine gerade Potenz gleich einer Zahl, so hat ihre Wurzel zwei Werte, einen positiven und einen negativen, die einander gleich sind. Ist also = 9, so ist x gleich 3 oder -3, und ist = 16, so ist x gleich 4 oder -4."

Positive Lösungen nennt Cardano "vera", negative Lösungen "ficta". So bemerkt er beispielsweise im ersten Kapitel, daß die Gleichung + 21 = 2x keine wahre (also positive) Lösung habe, wohl aber eine fiktive (also negative), nämlich -3. Er schreibt dann weiter, daß sich daraus eine wahre Lösung (nämlich 3) von = 2x + 21 ergibt. Ganz allgemein führt er aus, daß im Fall einer fiktiven Lösung einer Gleichung + n = ax dieser eine wahre Lösung für die Gleichung

= ax + n entspricht. Weiters leitet er folgendes Resultat ab: Wenn das Produkt der Quadratwurzel aus des Koeffizienten von x und dieses Koeffizienten kleiner als die Konstante ist (d.h. ), so gibt es keine wahre Lösung, wohl aber eine fiktive. Diese entspricht der wahren Lösung der Gleichung = ax + n. Dazu wird folgendes Beispiel angeführt:

"Es ist nicht schwer herauszufinden, wieviele Lösungen es im Fall einer dritten Potenz gleich der ersten Potenz und einer Konstanten gibt. Wenn das Produkt von zwei Drittel des Koeffizienten von x und der Quadratwurzel von einem Drittel des Koeffizienten von x gleich der Konstanten ist, gibt es zwei Lösungen - eine wahre, die der fiktiven aus der vorangegangenen Regel entspricht, und eine fiktive, die der wahren aus der vorangegangenen Regel entspricht."

Diese Ausführungen bedeuten, daß = ax + n zwei Lösungen +r und -s besitzt, wenn ist, und daß dabei -r und +s Lösungen der Gleichung + n = ax sind.

"Dabei entspricht die wahre Lösung zweimal der fiktiven, so wie die fiktive in diesem Fall zweimal der wahren entspricht.

So ist zum Beispiel in = 12x + 16 die wahre Lösung 4, die fiktive -2, denn in + 16 = 12x ist die wahre Lösung 2 und die fiktive -4."

Im Kapitel II gibt Cardano eine Einteilung der von ihm behandelten Gleichungen in kanonische Gleichungstypen. Sodann gibt er die Lösung in den "einfachen" Fällen (gemeint ist vor allem die Auflösung quadratischer Gleichungen). Meist bringt er für die Lösungsverfahren mehrere Beweise. Für die Beweise zu den Lösungsverfahren der kubischen Gleichungen benötigt er geometrische Hilfssätze, die sich mit der Zerlegung eines Würfels beschäftigen. Diese Hilfssätze werden als Propositionen formuliert und in Kapitel VI zusammengestellt. Schließlich beschäftigt er sich noch mit der Reduktion von Gleichungen auf die kanonischen Typen. Dann diskutiert er die Lösungsverfahren für jeden dieser Typen für sich in getrennten Kapiteln.

Als Beispiel für die Behandlung der kubischen Gleichung durch Cardano führen wir Kapitel XVII der "Ars magna" vor. Dort wird der Gleichungstyp + + bx = c (a, b, c positive Zahlen) untersucht, und zwar auf folgende Weise:

"Als Beispiel sei + 6+ 20= 100 gegeben. Ich addiere , das ist 2, oder ein Drittel des Koeffizienten der zweiten Potenz, zu und konstruiere den ganzen Würfel über . Dieser besteht aus acht Teilen, die gemäß Kapitel VI dieses Buches folgende sind:

(das ist die Fläche FD mal ihrer Höhe); , das ist 8, denn ist 2; die drei Körper über der Fläche AD (diese sind gleich 6); und die drei Körper über der Fläche DE (diese sind gleich 12). Da nun

+ 6+ 20= 100

ist, addiere 8 (das ist die Differenz zwischen 20 und 12) zu , das gleich + 6+ 12+ ist. Dann ist + 8 = 108, denn ist um den Würfel CD (also 8) größer als die drei Körper DA, DE und DF. Und da 8 um 8 weniger ist als 8 des ganzen Würfels, addieren wir 8 auf beiden Seiten und erhalten

+ 8 = 124

ist bekannt gemäß dem bereits angegebenen Lösungsverfahren (dieses Gleichungstyps), wir ziehen ab, und es bleibt ."

Die allgemeine Gleichung fünften (und höheren) Grades widerstand allen Lösungsversuchen durch Radikale. Euler versuchte, sie auf eine Gleichung vierten Grades zu reduzieren, es gelang nicht. Auch Lagrange versuchte es auf diese Weise. Da die Bemühungen dieser großen Mathematiker nicht zum Ziel führten, kam man zur Annahme, daß es nicht möglich sei, die allgemeine Gleichung fünften Grades durch Wurzelausdrücke zu lösen. Die ersten Beweisversuche in dieser Richtung stammen von Ruffini. Der Beweis der Unlösbarkeit der allgemeinen Gleichung fünften Grades gelang dann Abel, für Gleichungen von mindestens fünftem, aber sonst beliebigem Grad wurde der Beweis von Galois erbracht. Dies gelang ihm durch Schaffung einer Theorie, die wir heute noch nach ihm benennen. Diese Theorie stellt die Verbindung vom Gleichungslösen zur Gruppentheorie her. Somit bildet die Theorie des Lösens von Gleichungen einen der Ausgangspunkte für die Entwicklung der modernen Algebra.

 

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