[ Fermat und die Anfänge der Differentialrechnung ]
Wie schon erwähnt, entstand der Begriff des Differentialquotienten bei der Beschäftigung mit dem Problem der Bestimmung von Extremwerten von Funktionen und mit dem Problem der Konstruktion von Tangenten. Im Gegensatz zu der in der heutigen Unterrichtspraxis üblichen Vorgangsweise haben sich die Grundgedanken der Differentialrechnung erst nach jenen der Integralrechnung entwickelt. Zwar wurden bereits in der Antike Tangentenprobleme (etwa für Kegelschnitte) bearbeitet, doch der eigentliche Grundstein für die Differentialrechnung wurde erst im 17. Jahrhundert gelegt.
Kepler hielt als einer der ersten die Beobachtung fest, daß die Änderung von Funktionswerten in der Nähe von Extremwerten verschwindend klein wird. 1629 machte sich dann Fermat diesen Gedanken zunutze und entwickelte, darauf aufbauend, eine Methode zur Bestimmung von Extremwerten. Fermat beschrieb diese Methode in seinen "Abhandlungen über Maxima und Minirna" mit folgenden Worten:
"Angenommen, A stelle irgendeine zu untersuchende Größe - eine Oberfläche oder einen Körper oder eine Länge, je nach den Bedingungen der Aufgabe - dar, und das Maximum oder Minimum werde durch Glieder, die A in irgendwelchen Potenzen enthalten, dargestellt. Dann machen wir aus der Größe, die vorher A gewesen ist, A + E und suchen erneut die Maxima und Minima über die Glieder in den gleichen Potenzen. Diese zwei Ausdrücke setzen wir (nach Diophantos) angenähert einander gleich. Gleiche Summanden auf beiden Seiten der Gleichung streichen wir weg, die verbleibenden teilen wir durch E oder durch eine Potenz davon, so daß wenigstens einer der Summanden E nicht mehr enthält. Danach werden die Glieder, die E enthalten, beseitigt, und die übriggebliebenen Summanden werden einander gleichgesetzt. Die Lösung der Gleichung ergibt A, das dem Maximum oder Minimum entspricht."
Diesen Ausführungen läßt Fermat zur Illustration ein einfaches Beispiel folgen. Und zwar möchte er eine Strecke so teilen, daß das Produkt der beiden Teile ein Maximum wird. Bezeichnet man die Länge der gegebenen Strecke mit b, die Länge der einen Teilstrecke mit a, so ist die andere Teilstrecke b - a. Fermat möchte also das Maximum von bestimmen. Sei nun die erste Strecke a + e, dann ist die zweite b - a - e, und das Produkt der beiden Strecken ist .
Dieses Produkt muß annähernd gleich sein dem Produkt . Durch Vereinfachung gelangt Fermat zur "annähernden Gleichung":
be ~ 2ae +
Nun "macht er die Gleichung richtig", indem er zuerst durch e dividiert und dann e b gleich Null setzt: So erhält er
b = 2a, also a = .
Um das angegebene Problem zu lösen, muß man also die Strecke b halbieren.
Am Schluß dieses Beispiels fügt Fermat folgende Bemerkung an:
"Man kann sich kaum eine allgemeinere Methode vorstellen!"
Wir sehen sofort, daß Fermats Methode sich nicht sehr viel von unserer heutigen Methode zur Berechnung von Extremwerten unterscheidet. Was fehlt, ist lediglich die exakte Begründung der Methode.
Im weiteren führte nun Fermat aus, wie man diese Methode zur Bestimmung von Tangenten verwenden kann. Unter dem Titel "Über die Tangenten von Kurven" schrieb er:
"Wir verwenden die vorhin angegebene Methode, um die Tangente in einem gegebenen Punkt dieser Kurve zu bestimmen.
Wir betrachten zum Beispiel die Parabel BDN (Abbildung) mit dem Scheitel D und dem Durchmesser DC; sei B der Punkt, durch den die Gerade BE Tangente an die Parabel ist und den Durchmesser in E schneidet.
Wir wählen auf der Strecke einen Punkt O, in dem wir die Ordinate ziehen; auch konstruieren wir die Ordinate im Punkt B.
Dann haben wir: /> /, da der Punkt O außerhalb der Parabel liegt. Es ist aber /=/ wegen der Ähnlichkeit der Dreiecke. Daher ist />/. Sei nun der. Punkt B gegeben, also auch die Ordinate , folglich auch der Punkt C, also auch . Sei = d diese gegebene Größe. Wir setzen = a und = e; wir erhalten
Wir bringen die Nenner weg:
Nun gehen wir gemäß der beschriebenen Regel vor: Durch Herausnehmen der gemeinsamen Ausdrücke finden wir:
.
oder was dasselbe ist,
Wir dividieren alle Ausdrücke durch e:
Nimmt man de heraus, so bleibt = 2da, folglich ist a = 2d.
Somit haben wir bewiesen, daß das Doppelte von ist - das ist das Ergebnis.
Diese Methode versagt niemals und könnte auf eine Anzahl von schönen Problemen ausgeweitet werden. Mit ihrer Hilfe haben wir die Möglichkeit, die Schwerpunkte von Figuren zu finden, die von Geraden begrenzt werden oder auch von Kurven, auch Schwerpunkte von Körpern, und eine Anzahl von anderen Resultaten."
Fermat gab niemals eine logische Begründung seiner Methode. In der Zeit um die Mitte des 17. Jahrhunderts entstand eine Reihe von weiteren Methoden zur Tangenbenbestimmung an Kurven. Ein Verfahren, das eher algebraischen Charakter hatte, entdeckte Descartes. Wir wollen dieses Verfahren nun in moderner Einkleidung diskutieren:
Gegeben sei eine Kurve y = f(x). Man suche die Tangente im Punkt P der Kurve. Die Tangente kann man leicht zeichnen, wenn man die Kurvennormale im Punkt P kennt, und diese ist bekannt, wenn man ihren Schnittpunkt C mit der x-Achse kennt (siehe Abbildung).
Ist allgemein gegeben eine Kurve y = f(x) (Descartes setzt voraus, daß f(x) ein Polynom ist), ist P ein Punkt der Kurve und C ein Punkt der x-Achse mit den Koordinaten (v,0), so schneidet ein Kreis um C mit dem Radius r = die Kurve außer in P in einem Punkt nahe bei C. Soll der Kreis die Kurve berühren, so muß die Gleichung
für die Koordinate x von P als doppelte Nullstelle besitzen. Jedes Polynom g() das eine doppelte Nullstelle = x besitzt, ist aber von der Form
Daher setzt Descartes an:
Nun wird ein Koeffizientenvergleich durchgeführt und dabei v durch x ausgedrückt. Der Anstieg der Tangente im Punkt P ist dann gegeben durch
Als Beispiel betrachten wir die Tangentenbestimmung an die Parabel= kx nach
dieser Methode (die anwendbar ist, da = f() ein Polynom ist).
Der Schnitt mit dem Kreis ergibt die Gleichung
Da links ein Polynom zweiten Grades steht, setzen wir an:
.
Der Koeffizientenvergleich ergibt: k - 2v = -2x. Also ist die Subnormale v - x
gleich k und der Anstieg der Tangente an die Parabel im Punkt (x,v-kx) ist gegeben durch
.
Man nennt dieses Verfahren der Tangentenbestimmung auch die "Kreismethode des Descartes".
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