Arithmetik

[ Die Erfindung mechanischer Rechenmaschinen ]

Aus dem Briefwechsel Keplers mit Wilhelm Schickhardt, einem Professor für biblische Sprachen an der Universität Tübingen, wissen wir vom Bau einer mechanischen Rechenmaschine, die die vier Grundrechnungsarten durchführen konnte. Der Prototyp dieses Instrumentes ist in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges zugrunde gegangen. Im Nachlaß Keplers fand man Skizzen dieser "Rechenuhr". Man hat die Maschine danach rekonstruiert. Modelle stehen beispielsweise im Keplermuseum in Weil und in der Johannes-Kepler-Universität in Linz. Diese Modelle funktionieren einwandfrei. In [ 2 ] wird die Wirkungsweise der Schickhardtschen Maschine so beschrieben:

Das dekadische Zählrad, der Standardbauteil aller später folgenden mechanischen Rechenmaschinen, wurde hier zum ersten Mal im Addier- und Subtrahierwerk verwendet.

Es enthielt auf seinem Umfang 10 Zähne, erlaubte also pro Umdrehung 10 diskrete Winkelstellungen. Nach einer Umdrehung um 360 0 in 10 Schritten kehrte es wieder in seine Anfangsstellung zurück, drehte dabei aber über einen zusätzlichen Übertragungszahn und ein Zwischenrad das nächste Zahnrad um einen Schritt weiter. Der "Zehnerübertrag" wurde hier also bereits selbsttätig gebildet. Verblüffend einfach war auch die Arretierung der Räder in ihren diskreten Zählstellungen durch Rastfedern und Rastrollen. Sie ermöglichten in Verbindung mit den versetzt angeordneten Zwischenrädern einen Zehnerübertrag über alle sechs Stellen. Jedes Zählrad enthielt eine Ablesetrommel mit den Zahlen 0 bis 9, die im darüberliegenden Fenster zur Ziffernanzeige diente. Bewegt wurden die Zählräder von vorne mittels eines Stichels, der in eine Einstellscheibe gesteckt wurde, rechtsherum zum Addieren und linksherum zum Subtrahieren.

Ein einfacherer Mechanismus ist kaum denkbar. Schickhardt schrieb deswegen auch mit berechtigtem Stolz in einem Brief vom 20. September 1623 an Kepler:

"Dasselbe, was Du auf rechnerischem Weg gemacht hast, habe ich kürzlich mechanisch versucht und eine aus 11 vollständigen und 6 verstümmelten Rädchen bestehende Maschine gebaut, weiche gegebene Zahlen im Augenblick automatisch zusammenrechnet: addiert, subtrahiert, multipliziert und dividiert. Du würdest hell auflachen, wenn Du da wärest und sehen könntest, wie sie, so oft es über einen Zehner oder Hunderter weggeht, die Stellen zur Linken ganz von selbst erhöht, oder ihnen beim Subtrahieren etwas wegnimmt."

Das Multiplizier- und Dividierwerk bestand im Prinzip aus drehbar angeordneten Zylindern, auf die Schickhardt die Einmaleinstafel schrieb. Er verwendete einen Zylinder pro Dezimalstelle. Mittels horizontal beweglicher Schieber ließen sich somit verblüffend einfach die Teilprodukte mit dem am Schieber angebrachten Faktor direkt ablesen. An den drehbaren Zylindern wurde der Multiplikand eingestellt, z.B. 2456. Das Teilprodukt mit dem Faktor 4 ergab sich dann einfach dadurch, daß man den entsprechenden 4. Schieber nach links schob und damit die Produktzahlen jeder Stelle freigab, 24 für die erste Stelle, 20 für die zweite, 16 für die dritte und 08 für die vierte Stelle. Diese Zahlen brauchten nun nur noch stellenrichtig im darunterliegenden Addierwerk eingestellt zu werden, 4 am ersten Zählrad, 2 + 0 am zweiten, 6 + 2 = 8 am dritten, 8 + 1 = 9 am vierten, und das Ergebnis war fertig: 2456 . 4 = 9824. Auf diese Weise ließen sich ohne jedes Kopfrechnen auch mehrstellige Zahlen miteinander multiplizieren. Es war eine geistvolle Kombination der Rechenstäbchen mit einem Addierwerk. Beim Dividieren verfuhr man umgekehrt. Sechs Merkscheiben im unteren Sockel des Gerätes dienten zum Einstellen bzw. Notieren der einzelnen Stellen eines mehrstelligen Quotienten und erleichterten das Dividieren ganz erheblich.

Die Rechenuhr Schickhardts ist angeblich vor ihrer Auslieferung 1623 verbrannt, er selbst ist an der Pest gestorben. Das Wissen um seine Konstruktion ging verloren, und so wurde Blaise Pascal lange Zeit als der Erfinder der mechanischen Rechenmaschine angesehen. Der neunzehnjährige Pascal baute 1641 eine Rechenmaschine für seinen Vater, um diesem das ermüdende tägliche Rechnen als Beamter des Steueramtes zu erleichtern. Es handelte sich dabei um eine Addiermaschine mit 6 Rechenstellen.

Alle vier Grundrechnungsarten konnte die Staffelwalzenmaschine ausführen, welche Gottfried Wilhelm Leibniz 1673 erdachte. Das grundsätzlich Neue an seiner Konstruktion war die Zurückführung der Multiplikation auf eine fortgesetzte Addition. Dieses Prinzip wird ja heute noch in unseren mechanischen Rechenmaschinen benützt.

Wenn den mit großem finanziellen Aufwand durchgeführten Anstrengungen von Leibniz trotzdem kein voller Erfolg beschieden war, so lag das in erster Linie an der noch unterentwickelten Feinmechaniktechnik jener Zeit, welche ein zuverlässiges Funktionieren der Modelle nicht zuließ. Immerhin entwickelte Leibniz für seine Rechenmaschine schon das für die moderne Computertechnik so wichtige Konzept der Binärdarstellung von Zahlen.

Leibniz kannte wahrscheinlich auch schon das Prinzip der Sprossenradmaschine, deren Erfindung allgemein dem Italiener Giovanni Polenus zugeschrieben wird. Diese Maschine arbeitete bereits mit einem Gegengewichtsantrieb. Auch sie funktionierte nicht einwandfrei, da die Genauigkeit der technischen Ausführung mit den (an sich richtigen) mathematischen Ideen nicht Schritt halten konnte.

Die erste Rechenmaschine, die auf den Ideen von Leibniz fußte und auch von der Mechanik her gut funktionierte, baute Antonius Braun in Wien im Jahre 1727. Sie befindet sich im Technischen Museum in Wien.

Die ersten serienmäßig erzeugten Rechenmaschinen - sie wurden nach dem Vorbild der Braunschen Maschine angefertigt - tauchten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf. 1850 wurde in England das Patent für eine tastaturgesteuerte Addiermaschine angemeldet. Auf Grund der gegenüber dem vorhergehenden Jahrhundert wesentlich besseren Fertigungsmöglichkeiten arbeiteten die Maschinen nun schon weitgehend ohne Fehler. Die einzige weitere Verbesserung der mechanischen Tischrechner, die bis vor wenigen Jahren noch unentbehrliches Hilfsmittel für das praktische Rechnen waren, stellte die Verwendung eines Elektromotors als Antriebsquelle dar.

 

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