Indien

[ Die indische Mathematik ]

Die ersten erhaltenen mathematischen Quellen aus Indien sind um 800 v. Chr. entstanden. Es sind dies die sogenannten "S ulvasutras" ("Seilregeln"), das sind geometrische Methoden für die Konstruktion von Opferaltären. Man findet hier etwa die Verwandlung eines Rechtecks in ein flächengleiches Quadrat oder den Pythagoräischen Lehrsatz oder einen Näherungswert für Um etwa 400 n. Chr. entstanden die "Siddhantas" ("Systeme"), von denen das bedeutendste das Surya Siddhanta ist. Dieses führt als seinen Autor im Titel den Sonnengott an. Es ist umstritten, inwieweit die Siddhantas von der Mathematik der Spätantike beeinflußt sind; jedenfalls finden sich in ihnen im Zusammenhang mit astronomischen Aufgaben (die darin vor allem behandelt sind) trigonometrische Kenntnisse, die über die Kenntnisse der Griechen hinausgehen. Etwas später, etwa um 500, entstand die Aryabhatiya, eine Art Zusammenfassung der damaligen mathematischen Kenntnisse der Inder in Gestalt einer Formelsammlung. Darin finden sich richtige und falsche Formeln bunt gemischt. Insbesondere enthält die Aryabhatiya schon Ansätze von Sinustafeln, und die indischen Mathematiker dieser bzw. der etwas später folgenden Zeit benützen bereits trigonometrische Formeln. Auch unser Wort "Sinus" stammt übrigens aus dem Indischen. Sinus heißt dort "jiva", und die Araber übernahmen dies als "jiba". Nun gibt es aber im Arabischen ein Wort jaib - es bedeutet Bucht - und als der Engländer Robert von Chester um 1200 arabische Schriften (natürlich ins Lateinische) übersetzte, verwechselte er die beiden Wörter und übersetzte "sinus". Ferner finden sich in der indischen Mathematik dieser Zeit Ansätze für das dezimale Positionssystem, das aber erstmalig in voll entwickelter Form erst für das Jahr 595 quellenmäßig belegt ist, wo auf einer Tafel die Zahl 346 in dezimaler Notation angeschrieben wird. Die Ziffer 0 kam allerdings erst etwa 200 Jahre später zu den übrigen Ziffern dazu, vermutlich haben sie die Inder von den Griechen übernommen, die aber ihrerseits kein dezimales Positionssystem besaßen. Das dezimale Positionssystem und die Ziffernschreibweise der Inder wurden um 800 von den Arabern übernommen. Ein diesbezügliches Buch des al-Khwarizmi wurde im 12. Jahrhundert in Spanien ins Lateinische Übersetzt und fand allmählich Verbreitung in Europa; zunächst wurden die "figurae Indorum" von den italienischen Kaufleuten verwendet. Wegen ihrer leichten Fälschbarkeit gab es anfänglich Widerstände gegen ihre Einführung. Um 1500 verdrängten sie dann auch in Deutschland die römischen Ziffern. So wie die dezimale Ziffernschreibweise kamen auch die Elemente der Trigonometrie auf dem Weg über die Araber in das Abendland, und diese beiden Dinge sind der Beitrag der indischen Mathematik zu unserer heutigen Mathematik.

In den folgenden Jahrhunderten beschäftigten sich die Inder vor allem mit algebraischen und mit diophantischen Gleichungen und erzielten dabei bemerkenswerte Resultate. Die bedeutendsten indischen Mathematiker waren Brahmagupta (um 600) und Bhaskara (um 1150), dessen bekanntestes Buch "Lilavati" heißt. Seit dem 12. Jahrhundert machte die Mathematik der Inder aber keine nennenswerten Fortschritte mehr und erlosch schließlich.

Aus Bhaskaras Lilavati