Infinitesimalrechnung

[ Die Beiträge von Kepler und Cavalieri zur Infinitesimalrechnung ]

Ab dem 12. Jahrhundert begann sich mit der Übersetzung der mathematischen Texte ins Lateinische langsam die "europäische Mathematik" auszubilden. Für die spätere Entwicklung des Calculus wichtig war die Idee der graphischen Darstellung einer Funktion und allgemeiner die Ausbildung des Funktionsgedankens überhaupt. Die ersten Ansätze dazu fanden sich - wie wir wissen - bereits bei Nikolaus Oresme. Eine weitere wichtige Voraussetzung für den Calculus war die Ausbildung eines adäquaten algebraischen Symbolismus. Diesen Symbolismus und die Unterscheidung von Parametern und Variablen verdanken wir vor allem Francois Viéte. Schließlich ist als letzte wichtige Vorbedingung die Entwicklung der analytischen Geometrie durch Fermat und Descartes zu nennen.

Im 16. Jahrhundert verbreiteten sich die Übersetzungen der Werke des Archimedes in Europa mehr und mehr. Besonders beliebt waren die Untersuchungen von Archimedes über das Gleichgewicht von Flächen. So kam es zu einem systematischen Studium der Schwerpunktsbestimmungen von Körpern. Francesco Maurolico, Federigo Commandino, Luca Valerio und Simon Stevin leisteten dazu originelle Beiträge.

Dabei war man in dieser Zeit nicht sosehr an einer logischen Begründung der hergeleiteten Resultate interessiert, vielmehr zählte die Methode, die zur Herleitung verwendet wurde, und natürlich das Resultat. Besonders deutlich drückte diese Einstellung Huygens 1657 aus:

"Um das Vertrauen der Experten zu erreichen, ist es von keinem großen Interesse, ob wir entweder eine absolute Demonstration oder eine solche Grundlegung (des Resultats) geben, die keinen Zweifel über die Möglichkeit einer perfekten Demonstration läßt. Ich gebe gerne zu, daß es (das Resultat) in einer klaren, eleganten und genialen Form dargestellt werden soll, wie in allen Werken des Archimedes. Aber das erste und wichtigste Ding ist die Art der Entdeckung selbst, an deren Kenntnis sich die Gelehrten erfreuen. Daher scheint es so, daß wir zu allererst der Methode zu folgen haben, durch die dieses verstanden werden kann und überaus kurz und klar dargestellt werden kann. Wir ersparen uns dadurch die Arbeit des Schreibens und anderen die des Lesens - diesen anderen, die keine Zeit haben, die enorme Menge geometrischer Erfindungen zur Kenntnis zu nehmen, die von Tag zu Tag zunimmt und in diesem gelehrten Jahrhundert über alle Grenzen zu wachsen schiene, wenn sie mit der langatmigen und perfekten Methode der Alten betrieben würde."

In der Ausbildung von Methoden für die Quadratur von Kurven und die Kubatur von Körpern hat besonders Johannes Kepler wichtige Beiträge geleistet. In diesem Zusammenhang war vor allem sein Büchlein "Nova stereometria doliorum vinariorum" von Wichtigkeit. Darin verwendete Kepler die Idee, einen vorgegebenen Körper in eine unendliche Anzahl von infinitesimalen Stückchen zerlegt zu denken, die eine für die Lösung des Problems geeignete Form besaßen. So stellte er sich etwa die Kugel als Summe von unendlich vielen kleinen Kegeln vor, der Spitze im Kugelmittelpunkt und deren Grundfläche auf der Kugeloberfläche liegt. Somit gelangte Kepler zum Ergebnis: Das Volumen einer Kugel ist gleich einem Drittel des Produktes der Kugeloberfläche mit dem Kugelradius. Wir sehen also, daß Kepler im Prinzip Gedankengänge verwendete, die Archimedes als heuristisch und daher "nicht-mathematisch" bezeichnete.

Am Beginn der "Nove Stereometria" fand man eine Liste von Hilfssätzen, deren Formulierung einen Einblick gab in Keplers Art, Mathematik zu betreiben. Einige dieser insgesamt 17 Hilfssätze seien hier angeführt:

 

  1. Das Verhältnis des Kreisumfangs zum Durchmesser ist sehr nahe gleich dem der Zahlen 22 und 7.
  2. Die Kreisfläche verhält sich zum Quadrat des Durchmessers nahezu wie 11 zu 14.
  3. Der gerade Zylinder verhält sich zu dem ihm umgeschriebenen rechtwinkeligen Parallelepiped wie der Grundkreis zu dem ihm umschriebenen Quadrat.
  4. Das Prisma ist das Dreifache der Pyramide, der Zylinder das Dreifache des Kegels mit der gleichen Grundfläche und Höhe.
  5. Die Mantelfläche eines geraden einer Halbkugel eingeschriebenen Kegels ist das -fache des Grundkreises und die Hälfte der Mantelfläche jenes Kegels, der derselben Halbkugel umschrieben ist.
  6. Die Kugeloberfläche ist viermal so groß wie der größte Kugelkreis.
  7. Die Oberfläche eines Kugelabschnitts ist einer Kreisfläche gleich, deren Radius der Abstand des Pols von einem Punkt des Grundkreises ist.
  8. Die Kugeloberfläche und der Durchmesser werden durch eine zur Achse senkrechte Ebene im selben Verhältnis geschnitten.
  9. Ein Kegel kann geschnitten werden entweder durch eine durch den Scheitel gehende Ebene oder durch die Mantelfläche eines zweiten kleineren Kegels, der die Spitze mit dem ersten gemeinsam hat. In beiden Fällen verhalten sich die gleich hohen Kegelsegmente wie ihre Grundflächen. Geht die Schnittebene nicht durch den Scheitel, so sind die Abschnitte des Kegels nicht bestimmbar.

Sodann bemerkt Kepler über diese Sätze als "Ergänzung zu Archimedes":

"Soweit sind Archimedes und die alten Griechen gelangt bei der Untersuchung der des Natur und der Abmessungen der gerad- und krummlinigen regelmäßigen Figuren lbst, und der von ihnen zunächst erzeugten Körper. Weil die Faßfigur von den zu regelmäßigen Figuren stärker abweicht, habe ich es für lohnend erachtet, die Entstehung der Faßfigur und verwandter Körper sowie die Schritte zu ihrer Erkenntnis mit den regulären Körpern gewissermaßen auf derselben Tafel darzustellen, zum Teil, um die folgenden Untersuchungen lichtvoller zu gestalten, dann auch, um den Eifer der jetzigen Geometer anzustacheln und nach Eröffnung eines weiten geometrischen Gebietes zu zeigen, was bis jetzt noch darauf zu bearbeiten und zu untersuchen bleibt."

Darauf studiert Kepler jene Körper, die durch die vier (!) Kegelschnitte Ellipse, von Hyperbel, Parabel und Kreis erzeugt werden können. Er bespricht die Anzahl der möglichen Körper und deren Unterschiede. Er führt dabei Bezeichnungen wie flache Melone, Pilz, dicke Pflaume, Birne, Zitrone usw. ein.

Im zweiten Teil der "Nova Stereometria" ordnet er nun die Form der österreichischen Fässer in diese Klassifikation ein:

"Zu welcher Art der vorausgehenden Figuren das österreichische Faß gehört. Nach den allgemeinen Betrachtungen dessen, was mir in der Stereometrie der regelmäßigen Körper sowohl nach Archimedes wie nach meinen eigenen Entdeckungen zur Erkenntnis nützlich schien, trete ich meinem Vorhaben näher und fasse vieles von Archimedes noch nicht Berührte über die Körper in derselben Kugel, ihre Parallelepipede, Zylinder und Kegel, aber auch das, was sich allein auf die Form des österreichischen Fasses zu beziehen scheint, unter der Aufschrift "Stereometrie des österreichischen Fasses" zusammen und schließe es der vorangehenden Ergänzung zu Archimedes an. Das österreichische Faß hat nämlich die Form eines bauchigen Zylinders, oder genauer gesprochen, man kann es sich zusammengesetzt denken aus zwei abgestumpften Kegeln, deren nach entgegengesetzten Richtungen weisende Scheitel durch die hölzernen Faßböden abgeschnitten sind, und deren gemeinsame Basis, die Trennungsfläche beider Kegel, der größte Kreis entlang des Bauches des Fasses ist.

In der Abb. 180.1 ist HEFG der Zylinder, ABC der eine Kegel, der andere gleiche erstreckt sich von AC nach ND, der eine abgeschnittene Scheitel ist EBG, der andre wird von HF abgeschnitten. Die abgestumpften Kegel sind AEGC und AHFC, die gemeinsame Grundfläche AC. Was von den Zylindern und abgestumpften Kegeln gilt, kann auch auf die Faßfigur angewendet werden, weil diese von der Zylinderform nur wenig und von der Form des abgestumpften Kegels noch weniger abweicht, sobald nur die Dauben, die hier durch die Gerade CRF dargestellt werden, nach außen schwach gekrümmt sind.

Vollkommen genau ist jedes Faß der mittlere Teil einer durch einen Kreisabschnitt erzeugten Zitrone oder einer durch ein vertikales Ellipsensegment erzeugten Pflaume oder einer parabolischen, meistens aber einer hyperbolischen Spindel mit beiderseits gleich abgeschnittenen Scheiteln. Der Grund, weshalb ich die hyperbolische Spindel anführe, ist der, daß die Fässer die Rundung vorzüglich in der Mitte haben, und daß sie sich gegen die Böden hin gewöhnlich einer Kegelfläche anschließen, damit die Reifen leichter angetrieben und dadurch fester angezogen werden können. Dies ist in der Tat bei der Hyperbel und bei dem durch sie erzeugten Konoid und der Spindel der Fall, indem ihre . Äste von der Krümmung in der Mitte an allmählich in die Asymptotenrichtung übergehen. Dasselbe ist zum Teil auch bei der parabolischen Spindel und der elliptischen Pflaume der Fall, am deutlichsten ist es an der hyperbolischen Spindel, viel weniger aber an der elliptischen Pflaume, jedoch nicht an jeder, sondern nur an der schlanken, von einem vertikalen Ellipsensegment erzeugten, dessen Achse nach der Abstumpfung nicht bis an den Brennpunkt heranreicht, welche Einschränkung auch für die parabolische Spindel Geltung hat. Bei der Olive, welche von einem zwischen den Scheiteln liegenden Ellipsensegment erzeugt wird, findet das Entgegengesetzte statt, denn sie krümmt sich nach den Enden hin stärker als in der Mitte und weicht dadurch von der Faßfigur ab. Gleichwohl will ich nicht in Abrede stellen, daß manchmal wegen des kaum merkbaren Unterschiedes jener Figuren ein Faß die Form einer abgestumpften Olive hat, aber nicht nach der Absicht des Verfertigers, sondern infolge eines Fehlers in der Ausführung. Niemals aber ist, wie ich glaube, ein Faß entsprechend dem Bauche eines Archimedischen Sphäroids gebaut worden, weiches Clavius (Geom.pract.V.10) als der Wirklichkeit zunächst kommend annimmt (denn die andern Formen, deren Entstehung ich oben gelehrt habe, waren ihm noch nicht bekannt); "doch ich bin bereit" sagt Clavius, "wenn jemand eine genauere Form findet, sie gern und dankbar anzunehmen". Denn ein verlängertes Sphäroid, das in der Mitte die richtige der Faßform angepaßte Krümmung hat, besitzt gegen die abgestumpften Scheitel hin eine so starke Rundung, daß niemals ein Reifen längere Zeit darauf haften würde. Nimmt man aber den Bauch eines sehr schlanken Sphäroids, so vermindert man zwar diesen Nachteil der allzu starken Krümmung an den Enden, dann hat aber das Faß keinen Bauch, und man könnte es meiner Meinung nach gleich als reinen Zylinder konstruieren.

In der Abb. 180.1. sind HAE und FCG die Bogen eines Kreises mit dem Durchmesser BT, sie beschreiben eine abgestumpfte Zitrone, deren abgeschnittene Scheitel HNF und EIG sind. Die punktierte Linie zwischen der Geraden FRC und dem Bogen FSC bezeichnet eine hyperbolische Spindel, mit dem Hyperbelscheitel C, dem Zentrum V und den Asymptoten VX und VZ, deren Zug sich die Hyperbel CF gegen F hin mehr und mehr anschmiegt und hier von der Tangente FQY, welche den Bogen FSC in Q schneidet, kaum mehr zu unterscheiden ist."

Um einen Einblick in die Art der mathematischen Überlegungen in Keplers Werk zu geben, zitieren wir aus der "Nova Stereometria" den Beginn seiner Untersuchungen darüber, wie man nun die Richtigkeit der Messung mit der Visierrute erkennen kann:

"Wie man die Visierrute als falsch erkennen kann, und wie man sich ihrer Richtigkeit versichert.

Um zum Ausgangspunkt meiner Untersuchungen zurückzukehren, so war meine erste Frage über die Visierrute die, wie dieselbe Länge AF verschiedenen Faßfiguren zukommen kann, die doch nicht gleichen Inhalt haben.

Um dies in der Ebene zu zeigen, empfiehlt es sich, statt des Zylinders das Parallelogramm zu betrachten, in welchem der Zylinder durch einen Achsenschnitt getroffen wird. Denn was für den Zylinder richtig ist, das kann auch als gültig angesehen werden für den abgestumpften Kegel AHFC und seinen Achsenschnitt, nämlich das Trapez AHFC, in das auch die Visierrute hineinfällt. Diese ebene Fläche schien mir mit dem Zylinderinhalt größer und kleiner zu werden.

Mit dem Gegenstande soll sich der Lehrsatz I beschäftigen: Die Achsenschnitte gerader Zylinder, die gleiche Diagonale haben, sind von ungleichem Flächeninhalt, außer wenn bei ihnen das Verhältnis des Durchmessers zur Höhe dasselbe oder das umgekehrte ist; unter ihnen ist der Schnitt jenes Zylinders am größten, dessen Höhe dem Durchmesser der Grundfläche gleich ist.

Es sei CI der Durchmesser der Grundfläche eines Zylinders, IA seine Höhe, die dem Durchmesser gleich ist und die halbe Faßlänge vorstellt. Der Schnitt des Zylinders sei das Rechteck AIOC, das hier ein Quadrat ist, AC die Diagonale, welche die quer vom Spundloch A bis zum Rand des Bodens IC reichende Visierrute darstellt. Weil der Zylinder als gerade vorausgesetzt ist, so wird der Winkel CIA ein rechter sein. Es werde AC in N halbiert und um N mit dem Halbmesser NA ein Halbkreis beschrieben, welcher durch I gehen muß, weil AIC ein rechter Winkel ist. Weil die Geraden Al und IC gleich sind, so sind die Bogen Al und IC Quadranten des Kreises, die Winkel INA und INC sind rechte, und IN ist die Senkrechte auf AC.

Verbindet man irgendwelche Punkte eines Quadranten, z.B. H und B, durch die Linien HA, HC, BA, BC mit den Endpunkten A und C des Durchmessers, so verwandelt sich bei unverändert bleibender Diagonale AC das Quadrat AICO oder seine Hälfte, das Dreieck AIC, in eine Figur AHC, ABC, wobei der rechte Winkel 1 bei H und B auftritt, weil ja alle demselben Halbkreis angehören: so sind AHC, ABC die Hälften eines geraden Zylinderschnitts mit den Durchmessern CH und CB und den Höhen HA, BA.

Ich behaupte, daß die Fläche AIC am größten, daß AHC kleiner und ABC noch kleiner ist, weil B vom Punkt 1 weiter entfernt liegt. Fällen wir von den Punkten B und H auf den Durchmesser AC die Normalen HM und BK. Nach den Lehrsätzen des Euklid ist jedes Dreieck flächengleich mit einem Rechteck über der halben Grundlinie AC und mit der Dreieckshöhe NI, MH, KB als Seite. Deshalb verhält sich IN zu HM und BK wie die Fläche AIC zu AHC und ABC. In dem Quadranten Al sind aber alle zum Halbmesser IN parallelen Geraden, wie HM, BK, kleiner als der Halbmesser IN, und die entfernt liegende Gerade BK kleiner als die näher gelegene HM. Es ist mithin die Fläche AHC kleiner als AIC, und ABC wiederum kleiner als AHC. In derselben Reihenfolge sind also die Rechtecke, das Doppelte der Dreiecke, kleiner.

Ich behaupte auch, daß die Zylinder, bei denen das Verhältnis der Höhen zu den Durchmessern der Grundflächen das Umgekehrte ist, gleich große Schnittflächen haben. Ist nämlich Aß der Durchmesser der Grundfläche und BC die Höhe eines Zylinders, so ist klar, daß das Dreieck ABC, die Hälfte des Achsenschnitts, denselben Inhalt wie früher hat, wenn BC der Durchmesser und AB die Höhe ist, wenn also das Verhältnis dieser Linie umgekehrt wird. Ich will den Fehler nicht verhehlen, in den mich am ersten Tage die flüchtige Betrachtung dieses Satzes verfallen ließ. Denn diese Erwähnung wird dem Leser eine Mahnung sein, sich vor ähnlichen Fehlern auch sonst zu hüten. Ich habe irrtümlich so geschlossen: wenn ähnliche Flächen im quadratischen, ähnliche Körper im kubischen Verhältnisse der Seiten stehen, so wird auch bei nicht ähnlichen Körpern, sobald sie nur dieselbe Diagonale AC besitzen, das Verhältnis der Inhalte immer analog sein dem Verhältnis der Flächen und Linien. Dies ist aber falsch; und wenn ich den Bindern den Rat gegeben hätte, den Durchmesser des Faßbodens halb so groß wie die Länge der Dauben zu wählen (wie es die oberflächliche Betrachtung der auszumessenden Fläche verlangt, und wenn diese Nachlässigkeit auch auf die auszumessenden Körper Anwendung gefunden hätte), so hätte ich ihrer Kunst außerordentlich geschadet und sie weit von ihrem Ziele weggeführt. Denn nicht der Zylinder, der den größten Achsenschnitt hat, hat auch den größten Rauminhalt. Dies wird auch aus dem Späteren hervorgehen, jetzt aber will ich das für den geraden Zylinder Gesagte auch auf den Kegelstumpf ausdehnen."

Kepler beschließt sein Büchlein mit den Worten:

"Ich hatte mir vorgenommen, die Irrtümer anderer in der Bestimmung des Inhalts eines ganz oder teilweise gefüllten Fasses aufzudecken und die Grundlagen der Berechnung in den Lehrsätzen dieses Buches darzustellen. Da aber eine Wahrheit sich durchsetzt, auch wenn sie schweigt im Lärm der Irrtümer, und da das Buch, das anfangs kaum zehn Sätze umfaßte, über die Maßen angewachsen ist, so möge, wer daran seine Freude hat, an seinen Fehlern festhalten; wir wollen die erlangten Vorteile verwenden und beten, daß uns unsere geistigen und leiblichen Güter erhalten bleiben, und der trinkbare Stoff in reichlicher Menge vorhanden sein möge.

Et cum pocula mille mensi erimus,

Conturbabimus illa, ne sciamus."

Es ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert wie Kepler dazu kam, sich mit der Volumsbestimmung von Fässern auseinanderzusetzen. Er gibt darüber selbst in der Einleitung seiner "Nova Stereometria" Auskunft:

"Als ich im November des letzten Jahres (1613) meine Wiedervermählung feierte, zu einer Zeit, da an den Donauufern bei Linz die aus Niederösterreich herbeigeführten Weinfässer nach einer reichlichen Lese aufqestapelt und zu einem

annehmbaren Preise zu kaufen waren, da war es die Pflicht, des neuen Gatten und sorglichen Familienvaters, für sein Haus den nötigen Trunk zu besorgen. Als einige Fässer eingekellert waren, kam am vierten Tage der Verkäufer mit der Meßrute, mit der er alle Fässer, ohne Rücksicht auf ihre Form, ohne jede weitere Überlegung oder Rechnung ihrem Inhalte nach bestimmte. Die Visierrute wurde mit ihrer metallenen Spitze durch das Spundloch quer bis zu den Rändern der beiden Böden eingeführt, und als die beiden Längen gleich gefunden worden waren, ergab die Marke am Spundloch die Zahl der Eimer im Fasse. Ich wunderte mich, daß die Querlinie durch die Faßhälfte ein Maß für den Inhalt abgeben könne, und bezweifelte die Richtigkeit der Methode, denn ein sehr niedriges Faß mit etwas breiteren Böden und daher sehr viel kleinerem Inhalt könnte dieselbe Visierlänge besitzen. Es schien mir als Neuvermähltem nicht unzweckmäßig, ein neues Prinzip mathematischer Arbeiten, nämlich die Genauigkeit dieser bequemen und allgemein wichtigen Bestimmung nach geometrischen Grundsätzen zu erforschen und die etwa vorhandenen Gesetze ans Licht zu bringen".

Der zweite bedeutende Entdecker von infinitesimalen Methoden in dieser Zeit war Bonaventura Cavalieri. Dieser schuf mit seiner Methode der "unteilbaren Größen" ein Verfahren zur Bestimmung von Flächeninhalten und von Rauminhalten. Leider ist seine diesbezügliche Abhandlung schwer verständlich, und es ist nicht recht zu erkennen, was er mit dem Begriff "unteilbare Größe" nun wirklich meint. Das nach ihm benannte Prinzip, welches seine Methode der "unteilbaren Größen" beschreibt, wird noch heute im Schulunterricht behandelt. Es kann mit unseren heutigen Kenntnissen leicht exakt begründet werden.

In seiner "Geometria indivisibilium continuorum" aus dem Jahr 1635 beschrieb Cavalieri seine Methode auf folgende Weise:

"Der Satz: Wenn man zwischen denselben Parallelen irgendeine ebene Figur konstruiert und wenn in ihnen für jede Gerade, die äquidistant zu den Parallelen gezogen wird, die eingeschlossenen Teile auf jeder dieser Geraden gleich sind, so sind die ebenen Figuren ebenfalls einander gleich. Und wenn man zwischen denselben Parallelebenen irgendwelche Körper konstruiert, und in ihnen für jede Ebene, die äquidistant zu den Parallelebenen gezogen wird, die eingeschlossenen Ebenenstücke aus jeder dieser Ebenen gleich sind, so sind die Körper einander ebenfalls gleich."

Wir wollen nun Cavalieris Gedankengang an Hand eines Beispiels skizzieren, nämlich des Beispiels der Herleitung des Kugelvolumens mittels seines soeben zitierten Prinzips:

Auf einer Ebene denken wir uns links eine Halbkugel mit dem Radius r auf ihrem Basisgroßkreis aufgestellt. Daneben liege ein Zylinder mit dem Grundkreisradius r und der Höhe r. Aus diesem Zylinder denke man sich einen geraden Kegel entfernt, dessen Grundfläche die Deckfläche des Zylinders ist und dessen Spitze im Mittelpunkt des Zylindergrundkreises liegt (siehe Abb. 183.1). Nun schneiden wir beide Körper mit einer Ebene, die parallel zur Grundebene ist, etwa im Abstand h von dieser.

 

Dabei werden ein Kreis und ein konzentrischer Kreisring als Schnitt mit den Körpern auftreten. Wie man sich leicht überlegt, sind die Flächeninhalte dieser beiden Schnittflächen gleich groß. Die Anwendung des Prinzips von Cavalieri ergibt nun:

Das Volumen V der Kugel ist gleich der. doppelten Differenz aus dem Volumen des Zylinders und dem Volumen des daraus entfernten Kegels. Es gilt also:

Die Ideen Cavalieris wurden von seinen Zeitgenossen eifrig diskutiert und auch kritisiert. Cavalieri versuchte daraufhin vergeblich, seine Methode mit einem logisch einwandfreien Fundament zu versehen.

Einer der Verfechter und Benützer der Methode des Cavalieri war Evangelista Torricelli. Besonders bemerkenswert war diesbezüglich seine Kubatur eines unendlich langen Körpers. In seiner Abhandlung "Über den spitzen hyperbolischen Körper" ging Torricelli aus von einer Hyperbel xy = 2 . Diese rotiert um ihre Asymptote (in unserer Abbildung die y-Achse). Der entstehende Rotationskörper sei durch eine Zylinderfläche vom Radius OA begrenzt.

Torricelli nennt den auftretenden unendlich hohen Rotationskörper ein "spitzes Hyperboloid".

Um das Volumen dieses Körpers zu bestimmen, geht Torricelli folgendermaßen vor: Er denkt sich den Körper zusammengesetzt aus konzentrisch um die y-Achse liegenden Zylinderflächen. Die "unteilbare Größe" dieses Körpers ist also eine Zylinderfläche mit dem Radius x und der Höhe y. Deren Flächeninhalt ist gegeben , er ist somit unabhängig vom Radius der Fläche. In Analogie zum Cavalierischen Prinzip ist das Volumen des ganzen Körpers gleich "allen unteilbaren Größen", also gleich . Somit hat Torricelli im Prinzip als erster ein uneigentliches Integral berechnet, denn heute würden wir das Volumen V seines spitzen Hyperboloids ja folgendermaßen ermitteln:

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